Glätten und Nivellieren in der Kommissionierung

  • Ansprechperson:

    Uta Mohring

  • Projektgruppe:

    FB Logistiksysteme

  • Förderung:

    Gefördert durch die AiF im Rahmen des Programms zur Förderung der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages.

  • Starttermin:

    01.02.2019

  • Endtermin:

    31.01.2021

Die zunehmende Globalisierung und die steigende Bedeutung des Onlinehandels erhöhen den Wettbewerbs- und Effizienzdruck auf Distributionszentren. Das Auftragsvolumen in Distributionszentren steigt kontinuierlich an, wobei ein Auftrag in der Regel nur wenige Auftragspositionen mit geringen Stückzahlen umfasst. Beispielsweise besteht ein durchschnittlicher Kundenauftrag in deutschen Amazon-Distributionszentren aus 1,6 Artikeln. Darüber hinaus stellt die Gewährleistung kurzer, kundenindividueller und zuverlässiger Lieferfristen einen wichtigen Wettbewerbsvorteil in der Logistik dar. Lieferversprechen, wie „Lieferung am selben Tag“ oder „Lieferung am nächsten Tag“, sind im B2C-Bereich weitverbreitet. Außerdem schwankt das tägliche Auftragsvolumen in Distributionszentren sehr stark. Die Ergebnisse der im Rahmen des Forschungsprojekts durchgeführten Unternehmensbefragungen bestätigen diese logistischen Herausforderungen: Die Teilnehmer der Befragung berichten, dass in ihren Distributionszentren die Aufträge in der Regel am selben Tag oder am Folgetag ausgeliefert werden müssen und dass die Servicegradanforderung ihrer Kunden nicht selten 100% beträgt. Außerdem benennen die Teilnehmer der Befragung die schwankende und schwer prognostizierbare Kundennachfrage einhellig als zentrale Herausforderung im Lagerbetrieb. Der Variationskoeffizient des täglichen Auftragsvolumens der befragten Unternehmen liegt zwischen 20% und 38%.

Zur Handhabung dieser Nachfrageschwankungen greifen die Teilnehmer der Befragung überwiegend auf Maßnahmen der Arbeitszeitflexibilisierung und der flexiblen Personalplanung zurück: Überstunden, Zusatzschichten, Wochenendarbeit, Einsatz von Leiharbeit. Außerdem wird berichtet, dass sich die Nachfrageschwankungen unterschiedlicher Kunden teilweise gegenseitig ausgleichen und dass das Personal an Tagen mit unterdurchschnittlichem Auftragseingang für so genannte „nicht Servicegrad relevante“-Tätigkeiten im Wareneingang, bei der Retourenabwicklung oder in der Lageradministration eingesetzt wird. Im Allgemeinen kann zwischen folgenden Ansätzen zur Handhabung von stochastischen Nachfrageschwankungen in Distributionszentren differenziert werden:

  • Flexible Personalbedarfs- und Schichtplanung und
  • Geeignete Auftragseinlastung.

Bei der flexiblen Personalbedarfs- und Schichtplanung wird die bereitgestellte Kapazität durch Maßnahmen wie Überstunden, Zusatzschichten und den temporären Einsatz von Leiharbeitern bestmöglich an die schwankende Kundennachfrage angepasst. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass trotz der Nachfrageschwankungen der wesentliche Anteil der Kundenaufträge unmittelbar nach deren Auftragseingang bearbeitet wird. Dagegen kann durch eine geeignete Auftragseinlastungsstrategie, welche die bestehenden, auftragsspezifischen Zeitpuffer zwischen dem Zeitpunkt des Auftragseingangs und dem Erreichen der Fälligkeitsfrist der Aufträge systematisch ausnutzt, eine fristgerechte Bearbeitung der Aufträge gewährleisten werden, ohne dass flexible, temporäre Kapazitätsanpassungen notwendig sind. Diese Nivellierung der Arbeitslast durch eine geeignete Auftragseinlastungsstrategie wurde im Rahmen des Forschungsprojekts „Glätten und Nivellieren in der Kommissionierung“ systematisch untersucht (vgl. Abbildung 1).

Abbildung 1: Problemstellung, Ansatz und Zielsetzung des Forschungsprojekts.

Die Auftragsbearbeitung in der Kommissionierung wird anhand der Parameter Auftragseingangsvolumen pro Planungsintervall, Vorlaufzeit eines Auftrags, Bearbeitungsleistung pro Zeiteinheit und bereitgestellte Kapazität formal beschrieben. Zur Ableitung der Wahrscheinlichkeitsverteilungen der stochastischen Parameter Auftragseingangsvolumen, Vorlaufzeit und Bearbeitungsleistung aus den vorliegenden Realdaten werden in Abhängigkeit der verfügbaren Datengrundlage die Ansätze des Histogramms und der parametrischen Verteilungsannahme genutzt.

Die entwickelte Strategie der nivellierten Auftragseinlastung zur zeitlichen Glättung der Arbeitslast in der Kommissionierung basiert auf den Grundideen der Heijunka-Nivellierung in der Produktion und den spezifischen Anforderungen der Kommissionierung und zeichnet sich durch folgende Eigenschaften aus: Je Planungsintervall ist eine feste Kapazität für die Auftragsbearbeitung reserviert. Diese wird je Planungsintervall eingesetzt, um die aktuell vorliegenden Aufträge in der Reihenfolge aufsteigender Fälligkeitsfristen zu bearbeiten. 

Zur Leistungsanalyse eines gegebenen Kommissioniersytems mit nivellierter Auftragseinlastung werden basierend auf einer zeitdiskreten Markov-Kette verschiedene Leistungskenngrößen, wie beispielsweise Durchsatz, Auslastung, Servicegrad, exakt berechnet.

Zur Bestimmung des benötigten Personalbedarfs in der Kommissionierung wird zunächst im Rahmen der Kapazitätsplanung mithilfe eines modifizierten binären Suchalgorithmus die Kapazität bestimmt, die zur Gewährleistung einer bestimmten geforderten Leistungsfähigkeit in der Kommissionierung benötigt wird. Der ermittelte Kapazitätsbedarf wird dann über den Zwischenschritt der Schichtplanung zunächst in die Anzahl benötigter Schichten und abschließend in die Anzahl benötigter Mitarbeiter umgerechnet.

Aus den Ergebnissen einer numerischen Studie zur Arbeitszeitflexibilisierung in der Kommissionierung lassen sich verschiedene Handlungsempfehlungen für die Gestaltung des Arbeitszeitmodells in der Kommissionierung ableiten: So sollte beispielsweise zur Minimierung des Kapazitätsüberschusses ein Schichtmodell mit mindestens zwei Schichttypen eingesetzt werden, dessen Schichtlängen teilerfremd sind und es sollten stets so viele Schichten des Schichttyps der längsten Schichtlänge wie möglich eingesetzt werden, um dadurch den Personalbedarf zu minimieren.

Die Ergebnisse einer numerischen Studie zur Evaluation der Strategie der nivellierten Auftragseinlastung zeigen, dass in Systemen mit geringer und mittlerer Auslastung (Auslastung kleiner als 0.7) die Wahl der Einlastungsstrategie keinen Einfluss auf die Leistungsfähigkeit der Kommissionierung hat. In Kommissioniersystemen mit hoher Auslastung (Auslastung von mindestens 0.7) kann durch die Strategie der nivellierten Auftragseinlastung jedoch der erreichbare Servicegrad in der Kommissionierung gesteigert werden: Durch nivellierte Auftragseinlastung wird ein im Durchschnitt 18% höherer α-Servicegrad im Vergleich zu FIFO und ein im Durchschnitt 9% höherer α-Servicegrad im Vergleich zur Strategie der zufälligen Auswahl erreicht (vgl. Abbildung 2).

Abbildung 2: Relative Abweichung des α-Servicegrads bei nivellierter Auftragseinlastung vom α-Servicegrad bei FIFO (links) und vom α-Servicegrad bei zufälliger Auswahl (rechts).

Abbildung 3 gibt einen Überblick über die im Rahmen des Forschungsprojekts thematisierten Fragestellungen und die hierzu entwickelten Methoden und Verfahren sowie die wesentlichen durchgeführten numerischen Studien. Weitere Details finden sich im Schlussbericht des Forschungsprojekts.

Abbildung 3: Ergebnisse und Lösungsweg des Forschungsprojekts.