Flexförderer - Vollständig dezentrales Stetigfördersystem aus baugleichen Einzelmodulen

Unter dem Namen „Flexförderer“ entwickelt das IFL ein Fördersystem aus baugleichen, dezentral gesteuerten Modulen, das sich von bisherigen Ansätzen, klassische Automatisierungstechnik effizienter zu gestalten, abhebt. Die Einzelmodule sind autonom und führen die Materialflussaufgabe im Kollektiv durch. Im Vergleich zu starr verknüpften Anlagen verlangen modulare Systeme einen geringeren Planungsaufwand, ermöglichen eine beliebige Skalier- und Austauschbarkeit defekter Module und können einfach weiterverwendet werden. So lässt sich die Verfügbarkeit des Systems deutlich erhöhen. Der Investitionsaufwand wird durch Kostendegression bei vielen baugleichen Modulen reduziert.
Der Vergleich mit modernen IT-Netzwerken zeigt, dass eine hohe Kostenersparnis in modularen, selbststeuernden Systemen liegen kann. Denn hier wird aus einer großen Anzahl von unabhängigen Knotenpunkten (Routern) ein Netz erzeugt, das große Datenmengen transportieren kann, ohne dass der Einsatz einer teuren, zentralen Recheneinheit notwendig ist. Einzelne Rechner finden nach dem manuellen Zusammenschluss selbstständig neue Verbindungen und erzeugen sich in kurzer Zeit ein eigenes Abbild der realen Topologie in Form einer Routingtabelle. Beim Empfang einer Nachricht wird deren Ziel identifiziert und an den nächsten, auf dem Weg liegenden Knoten weitergeleitet. Hierfür werden Mechanismen eingesetzt, die dafür sorgen, dass Kollisionen und Zeitverluste vermieden werden.

Der Vergleich dieser Technologie mit den Anforderungen heutiger Materialflusssysteme zeigt einige Gemeinsamkeiten, was viele Forschungseinrichtungen der Fördertechnik motiviert hat, unter dem Namen „Internet der Dinge“ zukunftsweisende, dezentral gesteuerte Materialflusssysteme zu entwickeln. Innerhalb des von der Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen (AIF) geförderten Forschungsvorhabens am IFL wird auf Basis der Erkenntnisse aus den IT-Netzwerken ein eigenes Verfahren entwickelt, um die physischen Unterschiede zwischen Daten- und Materialfluss zu überwinden und so erstmals einen vollständig dezentral gesteuerten Transport von Fördereinheiten, wie z.B. Kleinladungsträger (KLT) oder Kartonagen, zu ermöglichen. Dabei verhalten sich die Module sehr ähnlich wie die bekannten Netzwerk-Router.

 

(Bild 1)

 

Wie Bild 1 zeigt, werden exakt baugleiche, quadratische Fördermodule entwickelt, die jeweils ein Identifikationssystem in Form eines RFID-Lesers, einen Förderantrieb für alle vier horizontalen Bewegungsrichtungen, Sensoren für die Positionserkennung der Fördereinheit und eine Recheneinheit mit vier seriellen Kommunikationsschnittstellen haben. Alle Komponenten werden über einen Mikrocontroller vernetzt und gesteuert, um teure Komponenten wie eine SPS oder einen Industrie-PC zu vermeiden. Der Mehraufwand für die Ausrüstung jedes Moduls mit RFID-Leser und Sensoren wird durch die hohe Stückzahl der baugleichen Module aufgefangen.

 

Die Fördermodule können manuell zur jeweils erforderlichen Topologie gekoppelt werden, wobei die einzige logische Verbindung zweier benachbarter Module eine serielle RS-232-Verbindung ist.

Sobald die Module eingeschaltet werden, senden sie ihre eigene Modul-ID an ihre unmittelbaren Nachbarn, die die Informationen zusammen mit der Anzahl der bereits durchlaufenen Module an wiederum nachfolgende Module weiterverschicken. So erhalten sämtliche Module in kürzester Zeit über das aus der Netzwerktechnologie bekannte Distance-Vector-Verfahren eine vollständige Topologieübersicht.

Wird eine Fördereinheit in das System eingeschleust, identifiziert das Lesegerät die Zieladresse per RFID. Anschließend sucht es in der zuvor generierten Routingtabelle den kürzesten Weg zum Ziel und versucht diesen Weg zu reservieren, wobei darauf geachtet wird, dass die Wege nicht bereits durch eine entgegenkommende Fördereinheit reserviert sind. Die Reservierung geschieht über den Versand eines Tokens, der entlang dem Weg von Modul zu Modul geschickt wird. Stößt der Token dabei auf einen bereits in Gegenrichtung reservierten Streckenabschnitt, wird er zum vorherigen Modul zurückgeschickt und es wird nach einer alternativen Strecke in der Routingtabelle gesucht.

Ist ein vollständiger Weg gefunden, werden die Fördereinheiten nach der Versandfreigabe durch das nachfolgende Modul losgeschickt. Da mehrere Fördereinheiten gleichzeitig in dieselbe Richtung versendet werden können, besteht bei Kreisverkehren die Gefahr eines Deadlocks. Dabei kommt das System zum Stillstand, wenn sämtliche im Kreis befindlichen Module bereits eine Fördereinheit tragen und somit einander blockieren. Um dies zu verhindern, sichern sich die Module vor dem endgültigen Versand an das nachfolgende Modul entsprechend ab.

 

Zur Untersuchung der Leistungsfähigkeit von Systemen mit höherer Komplexität und Anzahl an Modulen wurde eine Simulationssoftware mit der Ablauflogik der Module implementiert, die frei definierbare Topologien ermöglicht. Anschließend konnten hiermit mehrere Fördereinheiten eingeschleust und der physische Materialfluss beobachtet werden. Die Simulation wurde dazu genutzt, den Algorithmus zu verbessern und gezielt Ausnahmesituationen herbeizuführen, die vom System bewältigt werden mussten. Zudem konnte der Nachweis erbracht werden, dass es unter Einhaltung der Rahmenbedingungen niemals zu einem Deadlock kommen kann.

 

(Bild 2)

 

Wird in einem komplexen System mit mehreren Kreisverkehren, Quellen und Senken nun eine höhere Anzahl an Fördereinheiten eingelastet, entsteht ein scheinbar chaotisches Durcheinander von vielen sich bewegenden Fördereinheiten. Bei genauerer Betrachtung kann jedoch festgestellt werden, dass sämtliche eingelasteten Fördereinheiten nach kurzer Zeit an den Senken ankommen. Lediglich bei einem zu hohen Füllgrad, d. h. einem schlechten Verhältnis zwischen der Anzahl der Module und der Anzahl der Fördereinheiten, verringert sich wieder der Durchsatz, da es vermehrt zu Interaktionen und Blockiereffekten kommt.

Zur Vermeidung einer Durchsatzreduzierung durch diese Bockiereffekte wurde das System mit einem Quellen-Regelmechanismus ausgestattet, der den Füllgrad des Systems erkennt und bei zu hoher Last die Einschleusung weiterer Förderelemente reduziert. Dadurch regulieren die Module den Systemfüllgrad selbstständig, um einen höchst möglichen Durchsatz sicherzustellen.

Bild 3 zeigt den durchschnittlichen Durchsatz einer komplexeren Topologie bei unterschiedlichen Füllgraden. Es zeigt sich, dass sich ab einem gewissen Füllgrad der Durchsatz verringert, da sich die Fördereinheiten gegenseitig an den Zusammenführungen kurzzeitig behindern. Die Analyse zeigt auch, dass bei hohen Füllgraden der Materialfluss niemals ganz zum Erliegen kommt, da Deadlocks erfolgreich verhindert werden.

 

(Bild 3)

 

Die Ergebnisse verdeutlichen, dass die entwickelte dezentrale Steuerung sehr nahe an die Leistungsfähigkeit einer zentralen Steuerung heran kommt. Mit dem Bau von ersten Modulen wurde außerdem die technische Machbarkeit und das mögliche Erreichen der Zielkosten bei höheren Stückzahlen gezeigt. Derzeit wird am IFL eine größere Anzahl von Flexförderer-Modulen gebaut, um das System und den bereits erfolgreich simulierten Algorithmus unter realen Bedingungen zu testen und so in einer nahen Zukunft ein vollständig dezentrales und höchst flexibles Materialflusssystem in Betrieb nehmen zu können.